2018-05-04

Warum Millionen über den “Sperm Switch” sprechen – und er trotzdem auf der Kippe steht

Jonathan Walker für Shifted News
 
Dirk Baranek, Geschäftsführer der Agentur für Markenkommunikation Baranek & Renger, lud am Nachmittag des zweiten Tages der re:publica zur Aufklärungsstunde der besonderen Art ein. Zum Einen klärte er die im brechend vollen Raum der Stage 8 Anwesenden über eine Verhütungsmethode für Männer auf. Zum Anderen wie über 300 Millionen Menschen von der Idee erfuhren. Männliche wie weibliche BesucherInnen der re:publica schienen dem Vortrag, der zum re:health-Track gehört, aus Interesse an beiden Themen gespannt zu lauschen.
 
Zu Beginn steht das altbekannte Thema: “Der Mensch sucht sich das Beste heraus: Ich habe jetzt Sex und habe Spaß”, so Baranek, doch “es droht Fortpflanzung”. Wie immer wieder während er spricht, bricht lockers Gelächter aus. Bislang gebe es, abgesehen von einer ziemlich endgültigen Vasektomie, für Männer aber keine Möglichkeit, die Verhütung allein zu verantworten. Gleichzeitig stellt eine Vasektomie nach wie vor die sicherste Art der Verhütung dar, da sie eine Schwangerschaft zu 100% ausschließt. Die eigentlich relative naheliegende Lösung: ein Schalter am Samenleiter, genauer gesagt an beiden Samenleitern, die jeweils vom Hoden zum Glied führen, den Mann beliebig bedienen kann – per Kippschalter.
 
Um den unendlichen Fragen vorzubeugen, die einem bei dieser Idee beinahe unweigerlich durch den Kopf schießen, setzt Baranek bei seinem Talk noch etwas weiter vorne, oder tiefer, an. Immerhin wissen selbst die meisten Männer nicht “wie das da unten überhaupt funktioniert”, erklärt Baranek. Nerds könnten sich Hoden “als Mining Server” vorstellen, witzelt er. Tatsächlich machen nur 3-5% des Ejakulats Spermien aus. Der Rest sind andere Flüssigkeiten, die beim Orgasmus auch nach dem Einsetzen des Schalters austreten würden, was für viele Männer wichtig sei. “Es muss vorne was rauskommen”, weiß Baranek, der selbst eine komplette Vasektomie hinter sich hat. Teil seiner Präsentation ist daher auch ein Bild der “Narbe” an seinem eigenen Hodensack – um zu beweisen, dass dort keine Narbe sichtbar ist.
 
Sein Klient Clemens Bimek, der das Patent angemeldet hatte, brauchte dringend Publicity, um potentielle Probanden sowie Investoren auf seine Idee aufmerksam zu machen. Als überzeugter Vegetarier war Bimek von Anfang an gegen Tierversuche. Er hofft laut Baranek auf mutige Männer, die “die Eier haben, sich sowas einbauen zu lassen”. Zuerst kam die Nachricht von der Weltneuheit allerdings nicht über den deutschen Sprachraum hinaus. Nachdem Spiegel Online jedoch Bimek für das bislang einzige Interview gewann, war es am nächsten Tag in der britischen Boulevardpresse angekommen – als “Sperm Switch” oder – technisch gesehen fälschlicherweise – “Dick Switch” bezeichnet. Das Gerät wurde viral. Es folgten Publikationen in 500 Sprachen und ein NOWTHIS-Video, das auf Facebook 53 Millionen Mal aufgerufen und über 60 Tausend Mal kommentiert wurde.
 
Die Reaktionen gingen stark auseinander, wie eine Auswertung der inhaltlich relevanten Kommentare zeigt. Männer sehen den Eingriff eher negative, während Frauen aufgeschlossener scheinen. Männer haben zum Beispiel Angst vor Schmerzen und wollen nicht roboterartig per Knopfdruck ihrer Grundfunktion beraubt werden, während Frauen es etwa für sehr unnatürlich halten. Fragen reichen von “In was für einer Welt leben wir eigentlich?” bis “Warum nicht gleich per Bluetooth statt Knopfdruck bedienen?” und die unweigerliche Folgefrage “Könnte man das dann nicht hacken?”
 
Momentan bleibt allerdings ein ganz anderes Problem: Insgesamt wurden laut Baranek so zwar über 300 Millionen Menschen erreicht und immerhin 1.500 Freiwillige meldeten sich daraufhin. Investments blieben jedoch aus. So können keine Ventile hergestellt und für die dringend nötige klinische Studie eingesetzt werden. Insgesamt fehlen aktuell 1,5 Millionen Euro. Ein Ventil ist ca. 1.000 Euro wert – weshalb Dirk Baranek zum Ende des Vortrags auch zuerst sicherstellt, dass das Anschauungsobjekt, welches während er spricht durchgereicht wird, wieder bei ihm landet. “Sie werden es sich ohnehin nicht selbst einsetzen können.”

Speaker