2018-05-04

Von Camgirls und Performance-Künstlern - Ein Interview über Sexarbeit im digitalen Zeitalter

Close-up of Lena Chen

Photo Credit: Lorenzo Cervantes

Jessica Fowler und Laura Sovy für Shifted News

Lena Chen ist nicht nur feministische Performance-Künstlerin, Autorin und engagierte Queer-Aktivistin. Sie bezeichnet sich außerdem als laufende Fallstudie für schlechte Publicity, was re:publica nicht davon abgehalten hat, sie als eine der diesjährigen Speaker für das Fe:male Digital Footprint Topic auszuwählen.

Wir hatten das Glück, die Harvard-Absolventin, deren Lebensmittelpunkt derzeit zwischen Los Angeles und Berlin wechselt, vor der Konferenz zu treffen und uns mit ihr darüber zu unterhalten, inwiefern das Internet die Arbeitsbedingungen für SexarbeiterInnen verändert hat. Hierbei konnten wir einen kleinen Ausblick darauf gewinnen, was die #rp18-Besucher von Chens Talk Live Nude Girls: Feminist Art & Sex Work in the Digital Age erwarten können.

Dein Talk bei der diesjährigen re:publica wird sich darum drehen, inwiefern das Internet Kunst und Sexarbeit revolutioniert hat. Was sind einige Aspekte dieser Veränderung? 

Schon damals in den Neunzigern war das Internet dabei, die Art und Weise wie wir menschliche Beziehungen formen, zu revolutionieren. Leute fingen an, mit Formaten wie Webcam-Shows zu experimentieren. Diese waren aber nach wie vor mit negativen Konnotationen behaftet und für weniger internetaffine User schwer zugänglich.

Heutzutage sind Online-Sex-Portale weitaus präsenter und leichter abrufbar, nicht zuletzt dadurch, dass die Plattformen in ihrer Handhabung intuitiver geworden sind. 
Das gleiche trifft übrigens auch auf die Gig-Economy zu. Praktisch jeder kann Uber-Fahrer werden oder für foodora arbeiten. 

Diese Entwicklungen scheinen zunächst durchweg positiv. Gibt es hierbei auch eine Kehrseite der Medaille? 

Sicher. Diese Leute arbeiten nicht für ein reales menschliches Wesen, sondern für eine Marke, einen anonymen Vorgesetzten, der nichtsdestotrotz eine Menge Macht über sie hat. Auf gewisse Weise hat sich die Ausbeutung durch die technologischen Entwicklungen also auf Firmenseite rationalisiert. Statt uns von dieser zu befreien, hat die Technologie Ausbeutung nur noch effizienter gemacht.

Zusätzlich werden durch unsere Zustimmung bei der Anmeldung auf Plattformen wie Facebook unserer Daten und unser geistiges Eigentum kommerzialisiert und verkauft. Dennoch empfinden es viele Leute als notwendig, auf diesen Netzwerken vertreten zu sein, um ihre digitalen Identitäten zu kreieren und kuratieren. Ich würde sogar sagen, dass eine solche digitale Identität notwendig ist, um in unserer aktuellen Wirtschaft zu überleben. Es bleibt abzuwarten, welche Auswirkung die unfreiwillige Weitergabe eigener Informationen an multinationale Unternehmen auf Dauer auf das psychische Wohlergehen der Nutzer hat.  

Was ist deine Prognose hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung von Online-Sexarbeit?

Ich glaube, dass wir Menschen in den kommenden Jahren in unserem Streben nach Intimität zu nicht-digitalen Interaktionen zurückkehren werden. Denn unabhängig davon, was das Internet alles möglich macht, so denke ich doch, dass es auch als eine Art Barriere zwischen menschlichen Beziehungen wirkt. 
Interessant wird es außerdem sein, zu beobachten, wie Sexarbeiter und Künstler auf Zensur und andere Angriffe auf unsere Ausdrucksfreiheit im Internet reagieren werden. Möglicherweise ist es nicht die effektivste Einstellung, zu versuchen, diese Entwicklungen zu bekämpfen. Vielleicht macht es mehr Sinn, Strategien zu entwickeln, die jene Plattformen, auf denen wir überwacht und unsere Daten gesammelt werden,  überflüssig machen. 
Womöglich werden wir uns komplett auf analoge Techniken und Untergrund-Methoden zurückbesinnen. 


 

Speaker